Küffer war Feuer und Flamme für den «Volkshochschulgedanken», der sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in den deutsch-
sprachigen Ländern verbreitete.
Ein Text von Ruth Wiederkehr
Vom Berner Regierungsrat liess er sich mit der zitierten Studie beauftragen, um den Gedanken der Gründung einer Volkshochschule im Kanton zu konkretisieren. (2) Eine besondere Affinität hatte Küffer zur dänischen Volkshochschule. «Volkshochschule» bedeutete dort seit Ende des Jahrhunderts, dass junge Erwachsene in Kurswochen zu guten Staatsbürgern erzogen werden. Dazu gehörten musische und staatspolitische Angebote. Küffers Ziel war es, in Bern eine Volkshochschule zu gründen. Dieses Ziel sollte er erreichen – zusammen mit Vertretern der Universität Bern.
Gründung 1919
In Bern bestand ein Hochschulverein, der seit 1884 einzelne Vorlesungen anbot mit der Absicht, die Lücke zwischen Wissenschaft und gemeiner Bevölkerung zu schliessen. Emil Bürgi, Professor für Pharmakologie, war in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg unzufrieden
mit dem Angebot. Einzelvorträge bildeten den Menschen nicht nachhaltig. Besser sei es, Kurse oder Vorlesungszyklen anzubieten. Nur so werde das Bildungsbedürfnis des Volks befriedigt. Zusammen mit weiteren Professoren bildete er eine Kommission für
Volkshochschulbestrebungen. Küffers Studie und Engagement kamen Bürgi gelegen. Die
beiden spannten zusammen. (3)
Am 14. November 1919 publizierte die Presse die ersten sechs Volkshochschulkurse. Bern war somit nach Basel die zweite Stadt in der Schweiz, in der man unter dem Titel «Volkshochschule» Kurse besuchen konnte.
Und sie waren erfolgreich: Am 14. November 1919 publizierte die Presse die ersten sechs Volkshochschulkurse. Bern war somit nach Basel die zweite Stadt in der Schweiz, in der man unter dem Titel «Volkshochschule» Kurse besuchen konnte. Ein paar Dutzend Personen nahmen das Angebot in Anspruch. «Alle Veranstaltungen der ‹Volkshochschule Bern› stehen nicht im Dienste einer Partei, sondern einzig der Volksbildung», ist in einer Werbebroschüre der Zeit zu lesen. (4) Diese Haltung entsprach Küffer, der sich in der Öffentlichkeit klar positionierte: «Unsere Zeit ist innerlich arm: Differenzierung, Mechanisierung, Materialisierung!» (5) Die Volkshochschule Bern sollte den Gegenpol dazu sein.
In den 1920er-Jahren löste sich die Volkshochschule Bern vom Hochschulverein, der später eigenständig wieder Abendvorlesungen durchführte. Als erster Präsident der Volkshochschule waltete Karl Hänny, gelernter Stahlgraveur und Künstler. Zusammen mit Küffer prägte er die Organisation. Das Angebot bestand aus dreierlei Formaten: aus Volksfeierabenden, an denen jeweils in kleiner Runde ein heimatkundliches oder künstlerisches Thema besprochen wurde, aus Abendkursen, zum Beispiel in Literatur oder Naturwissenschaften, und aus Volksvorlesungen, den klassischen universitären Vorlesungen. Bald schon ergänzte die Volkshochschule Bern das Programm um praktische Kurse. So standen zum Beispiel 1924 Rhythmik, Porzellanmalerei oder Holzschnitt zur Auswahl. Man wollte als Volkshochschule nicht bloss Wissenschaftsvermittlerin sein, sondern den Menschen breit bilden. (6)
Kontinuität dank Abendkursen
Ohne Krisen lief es bei der Volkshochschule Bern nicht. «Universitätsreife fürchten, durch
die Volkshochschule werde die Wissenschaft verflacht; Volksreife befürchten, sie wolle einen
das Volk nicht ansprechenden gelehrten Zug ins Volksleben tragen […]», fasste Küffer bereits 1920 den noch lange danachschwelenden Generalvorwurf zusammen. Zu bürgerlich sei das Programm, befand die Arbeiterbildungszentrale 1924. Es sei zu stark auf die individuelle statt auf gesamtgesellschaftliche Bildung ausgelegt. (7)
Im Durchschnitt besuchten in den 1920er- bis in den 1940er-Jahren rund 20 bis 35 Hörerinnen und Hörer einen mehrteiligen Kurs, eine Mehrheit davon Frauen. 1930 waren es rund 1300, 1940 3000 und 1950 3700 Personen.
Die ersten zwei Jahrzehnte massgebend prägte auch Clara Nobs-Hutzli, Sekretärin zwischen 1924 und 1944. Sie schrieb zum Beispiel Verteidigungsschriften gegen Angriffe und administrierte das gesamte Angebot. Im Durchschnitt besuchten in den 1920er- bis in den 1940er-Jahren rund 20 bis 35 Hörerinnen und Hörer einen mehrteiligen Kurs, eine Mehrheit davon Frauen. 1930 waren es rund 1300, 1940 3000 und 1950 3700 Personen, die am Programm der Volkshochschule Bern teilnahmen. Bis in die 1950er-Jahre fokussierte sich die Programmkommission auf Abendkurse jeder Art. Ab und zu fanden Exkursionen statt. (8)
Aufbruch mit einem Schloss
Die 1950er-Jahren brachten Veränderung in die Kontinuität des Angebots. Bereits seit 1942 war der Kanton Bern in Besitz des Schlosses Münchenwiler in der Berner Exklave am Murtensee. Hier bot er militärischen Vorunterricht an, nutzte das Anwesen als Truppenunterkunft. Die Schlosskapelle stand den Münchenwilerinnen und Münchenwilern
zur Benutzung offen. Dieser Ort war wie gemacht für die Idee der Volkshochschule Bern!
Ab 1952 stellte der Kanton das Schloss den verschiedenen bernischen Volkshochschulen für Kurse zur Verfügung. Trotz Brand und finanziellen Sorgen mietete die Volkshochschule Bern ab 1957 das ganze Schloss. Federführend beim Vertragsabschluss war Rudolf Wildbolz. Der 32-jährige Sekretär und habilitierte Literaturwissenschaftler begeisterte sich für die Erwachsenenbildung und besonders auch das Schloss. Er war der erste vollamtliche Sekretär der Volkshochschule Bern und prägte das für den ganzen Kanton konzipierte Seminarprogramm auf Schloss Münchenwiler. Bis zum Umbau Ende der 1980er-Jahren fanden hier zwischen April und Oktober Ferienkurse in Musik, Malen, aber auch Vogelkunde oder Mathematik statt. Den Betrieb garantierte eine Schlossverwalterin zusammen mit einer Reihe von«tüchtige(n) junge(n) Mädchen». (9) Die Kurse strahlten weit über die Kantonsgrenze hinaus, auch der Verband der schweizerischen Volkshochschulen (VSV) nutzte den Ort für Veranstaltungen. (10)
Eine weitere Neuerung der 1950er-Jahre war die Gründung des Berner Volkshochschulverbandes.
Eine weitere Neuerung der 1950er-Jahre war die Gründung des Berner Volkshochschulverbandes. Nach Verhandlungen im Jahr 1956 traten am 1. Januar 1957 die Statuten in Kraft. Dadurch vereinten sich die Volkshochschulen in Thun, Langenthal, Biel und Interlaken und traten fortan gegen aussen einheitlich auf. 1984 übernahm der Verband als Betreiber das Kurszentrum auf Schloss Münchenwiler. (11)
Im Verlauf der 1960er-Jahre wurde das Programm der Berner Volkshochschule zunehmend
wissenschaftlich und systematisch. So grenzte sich die Organisation von der Migros Clubschule ab, die erfolgreich einen breiten Strauss an Kursen anbot. Physik, Astronomie,
Geschichte wurden selbstverständlich Teil des Volkshochschulprogramms. (12) Daneben probierte die Programmkommission immer wieder neue Angebote aus, so ab 1974 beispielsweise Kurse für freiwillige Helferinnen und Helfer im Sozialwesen. In rund einjährigen berufsbegleitenden Kursen wurden dabei Einführungen in die «Hilfe an seelisch, geistig oder körperlich Behinderte(n)» oder auch «Hilfe an Menschen, die im Rahmen einer gesetzlichen Massnahme betreut werden» – kurz: administrativ Versorgten – angeboten. (13) Der Mix an Angeboten liess die Teilnehmerzahlen in die Höhe schnellen: Während 1960 – ähnlich wie 1940 – etwas mehr als 3000 Frauen und Männer die vhs-Kurse besuchten, waren es 1970 rund 6700 und fünf Jahre später beinahe 12 000. (14)
Kanton Bern ist führend bei Gesetzgebung
Das Credo der Erwachsenenbildner lautete ab den späten 1960er-Jahren: Education permanente. Die Volkshochschule sei die vierte Säule der Bildung neben Schule, Berufsbildung und Hochschule, war Anton Lindgren, Direktor der Volkshochschule zwischen 1962 und 1974 überzeugt. «Volksschule und Volkshochschule» ergänzten sich, schrieb er 1967 nach einer eingehenden Analyse des gesamten Schweizer Bildungssystems. Deshalb müsse die Erwachsenenbildung in die Gesetzgebung eingebunden sein. (15)
1982 führte der Verband der Berner Volkshochschulen eine Tagung zu einem «Berner Erwachsenenbildungsgesetz» durch. 10 Jahre später trat dieses in Kraft. Bern war damit der erste Schweizer Kanton mit einer Gesetzgebung, die Gemeinden verpflichtete, für die Erwachsenenbildung Räume zur Verfügung zu stellen.
Der Prozess zur juristischen Verankerung der Erwachsenenbildung sollte dauern. Im Januar 1982 führte der Verband der Berner Volkshochschulen eine Tagung zu einem «Berner Erwachsenenbildungsgesetz» durch. 10 Jahre später trat dieses in Kraft. Bern war damit der erste Schweizer Kanton mit einer Gesetzgebung, die Gemeinden verpflichtete, für die Erwachsenenbildung Räume zur Verfügung zu stellen. Die erwachsene Bevölkerung sollte die Chance haben, sich weiterzubilden, sich auf den Computern fit zu machen. Auf nationaler Ebene bekommt die Weiterbildung erst 2017 ihr eigenes Gesetz. (16)
Auch im Programm der Volkshochschule bewegte sich einiges: In den 1980er-Jahren
wurde ein Jugendpass eingeführt, es wurden Sprachkurse in der Ferienzeit angeboten,
Kurztagungen veranstaltet, die Programme modern und farbig gestaltet. Die Vielfalt an Kursen führte schliesslich – 71 Jahre nach der Gründung – zum statistischen Höhepunkt. 1990 besuchten rund 21 800 Personen die verschiedenen Angebote. (17) Im Jahr 2004 löste sich der Berner Volkshochschulverband auf. Das Schloss Münchenwiler ist seither Aktiengesellschaft mit Parkhotel, das Seminare, Bankette und kulturelle Events anbietet.18 Für den Verband war nicht mehr genügend Energie und auch keine Grossaufgabe vorhanden. Das neue Jahrtausend veränderte durch die neue Hochschullandschaft, durch die Vielfalt an Anbietern von Kursen und durch die Möglichkeiten der Digitalisierung die Weiterbildung im Erwachsenenalter nachhaltig.
Quellenverzeichnis
- 2 Die Schrift wurde 1919 publiziert. Lindgren, Anton; Mattmüller, Hanspeter: Volkshochschule Bern 1919–1979. Bern 1979, S. 12.
- 3 Lindgren/Mattmüller, S. 9–26.
- 4 Lindgren/Mattmüller, S. 13 und 16.
- 5 Küffer, Georg: Die kulturelle Bedeutung der Volkshochschule. In: Die Schweiz: schweizerische illustrierte Zeitschrift 24 (1920), S. 612.
- 6 Lindgren/Mattmüller, S. 35; Zillig, Elisabeth: Recherchen zur Geschichte der Volkshochschule Bern. Manuskript von 2009, zur Verfügung gestellt durch die VHS Bern, Analyse der Zeitschrift «Die Volkshochschule Bern, Zeitschrift für Volksbildung».
- 7 Küffer 1920, S. 612; Lindgren/Mattmüller, S. 29f.
- 8 Lindgren/Mattmüller, S. 30 und S. 90; Zillig 2009, S. 9.
- 9 Staatsarchiv Bern, VBVV 26, Ferienkurse 1973 (Zitat S. 12); VBVV 30, Programme 1994 und 1995, Werbungsmappe für Schloss Münchenwiler mit Zeitstrahl; Schriftliche Mitteilung von Rudolf Wildbolz am 25. Mai 2019.
- 10 Z. B. Staatsarchiv Zürich, Ablieferung Volkshochschule Zürich, Jahresbericht 1956/57.
- 11 Staatsarchiv Bern, VBVV 25, Gründungsunterlagen 1956, Korrespondenz bis 1985.
- 12 Schriftliche Mitteilung von Rudolf Wildbolz am 25. Mai 2019.
- 13 Staatsarchiv Bern, VBVV 28, Programm 1974.
- 14 Lindgren/Mattmüller, S. 88f.
- 15 Lindgren, Anton: Volksschule und Volkshochschule. In: Archiv für das schweizerische Unterrichtswesen 53/1967 (1968), 159–184.
- 16 Staatsarchiv Bern, VBVV 25, Unterlagen zu 1982; Wiederkehr, Ruth; Knüsel, Pius; Reichenau, Christoph: Bildung zur Vernunft. 75 Jahre Verband der Schweizerischen Volkshochschulen VSV. Zürich 2019, S. 33.
- 17 Staatsarchiv Bern, VBVV 26–30 (Programme 1970 bis 1995).
- 18 Staatsarchiv Bern, VBVV 22, Jahresbericht 2004.