2004 erweiterte die Volkshochschule Bern ihr Feld, sie übernahm das Coop-Freizeitcenter der Region Bern (mit den Hauptbereichen Gesundheit, Fitness und Fremdsprachen) und dessen Mitarbeiterinnen.
Ein Text von Christoph Reichenau, Elisabeth Zillig und Martin Wild-Näf
Damals war die Welt der bernischen Volkshochschulen in Ordnung. Es galt das Erwachsenenbildungsgesetz. Dieses ermöglichte dem Kanton, das Volkshochschulangebot zu fördern, und verpflichtete die Gemeinden, Räume unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. «In
13 verschiedenen Sprachen haben wir Kurse durchgeführt; damit leistet die vhsbe einen
wichtigen Beitrag zur Integration und gegenseitigen Verständigung», lobt der Jahresbericht
2005, der auch mitteilt, dass sich die vhsbe der neuen Kulturlegi angeschlossen habe und «damit unserem Auftrag, Bildung für alle zu erschwinglichen Preisen anbieten», weiterhin nachlebe.
2006 kam die Wende: Aus Erwachsenenbildung wurde Weiterbildung. In Ausführung des Bundesgesetzes über die Berufsbildung wurde die kantonale Unterstützung der Volkshochschulen im neuen bernischen Gesetz über die Berufsbildung, die Weiterbildung und die Berufsberatung verpackt.
Von Erwachsenen- zu Weiterbildung
2006 kam die Wende: Aus Erwachsenenbildung wurde Weiterbildung. In Ausführung des Bundesgesetzes über die Berufsbildung wurde die kantonale Unterstützung der Volkshochschulen im neuen bernischen Gesetz über die Berufsbildung, die Weiterbildung und die Berufsberatung verpackt. Die Folge: Es gibt keine Strukturbeiträge mehr, die Kredite sinken wegen rigoroser Sparvorgaben des Regierungsrates. Es ist nicht möglich, die bisherige Subventionierung beizubehalten. Gefördert werden nur noch Bildungsangebote, «die aus staatlicher Sicht notwendig sind, auf dem freien Markt jedoch nicht bestehen können, und klaren Qualitätsstandards entsprechen», so die amtliche Darstellung. Weiterbildung wird neu enger verstanden als Erwachsenenbildung: «Weiterbildung trägt zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit bei. Sie unterstützt die Bevölkerung bei der Bewältigung gesellschafts- und sozial-politischer Probleme und fördert den Chancenausgleich. Sie beugt Arbeitslosigkeit vor und reduziert soziale Folgekosten für die Öffentlichkeit». Von den zwei Pfeilern des einstigen Erwachsenenbildungsgesetzes – Selbstbehauptung und Selbstentfaltung – ist der zweite beseitigt. Welche Bildung notwendig ist, bestimmt nicht mehr die Volkshochschule, sondern der Kanton. Trotzdem sind die vom Kanton unterstützten Angebote im Bereich Deutsch für Fremdsprachige bis heute ein wichtiger Bestandteil des vhsbe-Angebots.
Die Freiheit, ein aktuelles, regionales, vielfältiges Bildungsprogramm zu gestalten, blieb den Volkshochschulen, auch wenn die allgemeine Erwachsenenbildung weitgehend privatisiert wurde (bis hin zum Bundesgesetz über die Weiterbildung, das 2017 in Kraft trat). Es war nun aber voll das Risiko der Volkshochschulen, nicht einfach «auf wirtschaftlich sichere Werte im Angebot zu setzen, sondern der aufklärerischen und sozialen Tradition treu zu bleiben und Bildung für alle anzubieten», wie es vorausschauend im Jahresbericht 2004 heisst. «Freedom’s just another word for nothing left to lose» hatte Janis Joplin viele Jahre früher gesungen.
Risiko breiter absichern
Um das Risiko zu begrenzen, eine neue Nutzerschaft dazu zu gewinnen und den Umsatz zu halten, beteiligte sich die vhsbe an Ausschreibungen von Behörden und Firmen. Mit Erfolg. Sie führte Sprachkurse für Angestellte des Eidg. Departement des Innern durch und trainierte Lokomotivführer der SBB in den Landessprachen; diese fanden während deren Pausen ab und zu in Brig statt. Auch Kurse nach Mass für Einzelpersonen und Kleingruppen
fanden Anklang. 2006 wurde erstmals mit Erfolg ein Ferienprogramm für die Sommermonate gestaltet.
2007 startete die Samstagsuniversität in Zusammenarbeit mit dem Stadttheater und dem h.e.p.-verlag, ebenso – auf Initiative des Forums der Migrantinnen und Migranten – der Pilotkurs «Mitwirken am politischen Leben der Stadt Bern». 2007/2008 begann der Vorstand mit der Entwicklung einer neuen Strategie. Das Ziel: Die vhsbe soll unverzichtbarer Teil der Berner Weiterbildungslandschaft bleiben.
Dieser Erfolge ungeachtet verzeichnete die vhsbe in den 28 Jahren zwischen 1990 und 2018 einen Rückgang der Teilnehmenden von 21 800 auf 9369 Personen, also um fast 60%. Das ist in absoluten Zahlen viel. Die Entwicklung erscheint in einem anderen Licht, berücksichtigt man die gewachsen Konkurrenz in den Angeboten sowie die in den letzten zehn Jahren akzentuierte Gewichtverschiebung innerhalb der Weiterbildung: von der Allgemeinbildung hin zu berufsorientiertem Lernen. Und noch immer zählt die vhsbe nach den Corsi per adulti im Tessin und der Volkshochschule beider Basel zu den teilnehmerstärksten Volkshochschulen der Schweiz.
90-Jahr-Jubiläum
2009 konnte die vhsbe ihr 90-Jahr-Jubiläum feiern, bescheiden, u. a. mit einer Tagung für
Kursleitende, einer Lernnacht («Was ich schon immer wissen wollte») und einer kleinen Ausstellung über die Entwicklung in 9 Dezennien. Ein neues Logo mit Elementen des chinesischen Legespiels Tangram läutete das neue Jahrzehnt ein. Sozusagen zum Auftakt bewilligte der Berner Regierungsrat das Projekt Literalität in Alltag und Beruf und betraute die vhsbe mit der Leitung. Konkret führte das zu Kursen, die Lücken in den Grundkompetenzen Lesen, Schreiben, Rechnung und Umgang mit dem Computer schliessen, um die Arbeitsmarktfähigkeit zu verbessern. Mit Bernmobil, advaltech Styner Binz, der Kantonspolizei und dem Beschäftigungsprogramm Draht- und Gumpesel wurden Partner gefunden. In Zusammenarbeit mit der Universität Bern entstand als Lehr- und Lern-Werkzeug die Online Plattform LEAP (Lernen/apprendre), die noch heute genutzt wird.
2011 folgte der zweite Schritt: Der vhsbe wurde vom kantonalen Wirtschaftsamt das Vertrauen ausgesprochen, während 4 Jahren in Bern und Biel Stellensuchende in Deutsch, Französisch und Englisch zu fördern. Der Hammer folgte nur ein Jahr später. Das Wirtschaftsamt stellte die erfolgreich gestarteten Kurse ein. Investitionen entwerteten sich. Die Rechnung schloss mit einem erheblichen Defizit. Dieses konnte in den kommenden 3 Jahren abgetragen werden; doch die Reserven waren aufgebraucht. Hinzu kam die Halbierung der jährlichen Unterstützungsbeiträge der Stadt Bern. Im Bereich der Sprachkurse blühte dagegen die vhsbe als lizenziertes Prüfungszentrum der deutschen Agentur telc in Frankfurt: 700 Prüfungen in 6 Sprachen konnten durchgeführt werden.
Krise
Die angespannte Finanzlage führte den Vorstand dazu, der laufenden Rechnung besondere Beachtung zu widmen und 2015 die Geschäftsleitung mit einer Co-Leiterin zu verstärken, der die finanzielle und organisatorische Aufgabe übertragen wurde. An der Mitgliederversammlung 2016 kam es zum Eklat: Die Mitglieder lehnten eine Änderung der Statuten ab, die dem Vorstand mehr Kompetenzen zugewiesen hätte. Der Präsident trat umgehend zurück, die Co-Leiterin Finanzen und Administration bald danach, der Vorstand
organisierte sich neu.
Das Vertrauen zwischen Vorstand und Mitgliedern sowie zwischen Geschäftsleitung und Vorstand war auf dem Nullpunkt. Auch die Universität Bern und die Berner Fachhochschule,
die zusammen 3 von 9 Vorstandsmitgliedern stellten, sorgten sich umdie finanzielle Bonität und die Governance der vhsbe. Eine ausserordentliche Mitgliederversammlung, von zahlreichen Mitgliedern verlangt, brachte im Januar 2017 Ruhe, eine temporäre Sistierung der Beziehung zu den Hochschulen sowie in mehreren Schritten den Rücktritt von 7 Vorstandsmitgliedern.
Dies führte 2017/2018 zu zahlreichen Massnahmen, um die Krise zu bewältigen: Änderung
der Statuten, Prüfung der Finanzlage, betriebliche Anpassung, Wahl einer Nachfolgerin der auf Mitte 2018 zurücktretenden Christine Zumstein, Neubestimmung des Verhältnisses zu den Hochschulen, neue Leistungsvereinbarungen mit Bern, Wohlen, Kirchlindach und Bremgarten, striktes Finanzmanagement.
So verheisst das Jahr, in dem die VHSBE ihre hundert Jahre feiern kann, eine Erneuerung der «Bildung zur Vernunft».
Die alten Fragen stellen sich neu
Die Krise war damit nicht überwunden. 2018 stand die vhsbe vor dem Konkurs. Nur ein
schmerzliches Sanierungsprogramm u. a. mit Lohnkürzungen rettete die Institution. 2019
wechselten die Zeichen von Sturm auf Ermutigung. Der Gemeinderat der Stadt Bern gewährte ein zinsloses Darlehen, die Burgergemeinde Bern verlieh der vhsbe den Kulturpreis, die Mitglieder willigten ein in die Verdoppelung ihrer Beiträge, eine Stiftung überbrückte den Liquiditätsengpass.
Und die neu eingesetzte Programmkommission nahm ihre Arbeit auf, um mit einem attraktiven Bildungsprogramm die vhsbe in eine helle Zukunft zu führen. So verheisst das Jahr, in dem die vhsbe ihre hundert Jahre feiern kann, eine Erneuerung der «Bildung zur Vernunft», wie sie der Verband der Schweizerischen Volkshochschulen in seinem Manifest
2019 umreisst: «Das meint Volkshochschule: Lernen, um zu wissen – vom Wissen zum Verstehen gelangen – Vergangenheit und Gegenwart zur Zukunft hin verbinden – sich selbst entfalten – Autonomie erlangen – Skepsis pflegen – menschlich handeln.» Am Beginn ihres zweiten Jahrhunderts stellen sich der vhsbe zentrale Fragen: Wie kann sie zur Integration und zur gegenseitigen Verständigung in einer zunehmend heterogenen Gesellschaft beitragen? Was heisst Bildung für alle zu erschwinglichen Preisen? Wie kann ein Programm gestaltet werden, das differenziert ist und allgemeinen Werten verpflichtet? Einfache Antworten gibt es nicht, gab es nie. Auch im stets neuen Umgang mit ihren Grundfragen führt die vhsbe ihre Tradition fort.